Musikalische Leitung: Errico Fresis
Live-Elektronik Design: Manuel Poletti, Carl Faia
Regie: Hans-Werner Kroesinger
Video, Raum: Philip Bußmann
Kostüme: Siegfried Zoller
Dramaturgie: Regine Elzenheimer
mit Andrea Dewell (Schauspielerin), Claudia Neubert (Sopran), Mathias
Max Herrmann (Schauspieler), Ralf Peter (Countertenor), Stefan Röttig
(Bariton)
In Zusammenarbeit mit dem ensemble recherche
„Erzählen im eigentlichen Sinne des Wortes ist unmöglich geworden.“ Robbe-Grillet
„Was gezeigt werden kann, kann nicht gesagt werden.“ Wittgenstein
Ausgehend von Alain Robbe-Grillets Kriminalroman Le Voyeur und Ludwig Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus entstand ein neues Stück, dessen musiktheatrale Erzählweise sich durch eine extreme Raumsituation sowie durch Live-Elektronik und Video als integrale Elemente auszeichnet. Jörg Mainkas Musiktheater Voyeur verknüpft Wittgensteins sprachphilosophische Reflexion über Möglichkeiten und Grenzen der Darstellung von Welt mit Robbe-Grillets Erzähltechnik des nouveau roman, der mit der Erzähltradition des 19. Jahrhunderts bricht: die literarische Adaption filmischer Verfahren wie Wiederholung, Schnitt und Überblendung sowie der Verzicht auf jede psychologisierende Figurengestaltung erzeugt eine Geschichte, die durch ihre diskontinuierliche und fragmentarische Darstellung primär im Kopf des Lesers/Zuschauers entsteht. Die Hauptfigur Matthias reist als Uhrenverkäufer auf eine Insel und ermordet dort scheinbar ein junges Mädchen. Die kommentarlose Darstellung dieser Reise aus dem Blickwinkel einer von Obsessionen getriebenen Figur verwischt die Grenze zwischen Realität, Erinnerung, Fiktion und Phantasma. Das kameraartige Erfassen und Vermessen der Umgebung sowie aberwitzige Rechenexempel, die den Umsatz der Uhren und die dafür zur Verfügung stehende Zeit betreffen, vermischen sich in Zeit- und Bewusstseinssprüngen mit dem fetischisierenden Blick auf den Körper junger Mädchen und Frauen, mit sexuellen und sadistischen Phantasien und dem gleichermaßen verzweifelten wie sinnlosen Versuch der Konstruktion eines Alibis für eine Tat, von der gar nicht sicher ist, ob sie überhaupt begangen wurde. Ebenso unklar bleibt, wer hier eigentlich der Voyeur ist: Matthias mit seinem pathologisch-verzerrten Blick auf die Wirklichkeit oder aber der Leser/Zuschauer, der seine eigenen Phantasien in die Darstellung des Geschehens hineinprojiziert? Das obsessive Element an diesem Verfahren der Aussparung charakterisiert auch Wittgensteins Tractat: die scheinbar manifeste Konsistenz logischer und numerischer Ordnung in seinem Text ist nur die Negativ-Folie für das Eigentliche des Buches, das sich der Sprache entzieht und deshalb nicht geschrieben wurde. Auf eigentümliche Weise tauchen gegen Ende dieses Textes Phänomene wie Gott, das Mystische und der Tod auf, die über den Text und seine logisch-diskursive Sprache hinausweisen.
Dem sprach- und wahrnehmungskritischen Aspekt dieses Materials ist die Möglichkeit musiktheatraler und medialer Umsetzung eingeschrieben. Jörg Mainkas Musik kreist um das kompositorische Problem des Verhältnisses von Material und Gestalt, von objektivierbarer Ordnung und individuellem Durchbrechen derselben, von Struktur und Expressivität. Bezogen auf das Musiktheater ist dies vor allem die Frage nach dem Verhältnis von struktureller Organisation und der Möglichkeit, die Musik neben Sprache und Bild zur Erzählung, zur Geste oder zur Figur werden zu lassen.
Die Arbeit an Voyeur ist ein work-in-progress besonderer Art: das Werk entsteht in enger Zusammenarbeit des Komponisten mit dem Team. Die kompositorische, szenische, bildkünstlerische und dramaturgische Lektüre wird sich erst am Ende zu einem musiktheatralen Gesamttext zusammensetzen, in dem Stück und Inszenierung ineinander gehen. Diesem Aufführungstext sind jedoch seine offenen Stellen einkomponiert: der musikalische und videotechnische Einsatz der Live-Elektronik realisiert die Interaktion von Text, Musik, Körper, Bild und Raum als eine dynamische. Die Möglichkeiten medialer und räumlicher Irritation fokussieren das zentrale Thema des Voyeur: wer sieht und wer oder was gesehen wird gestaltet sich als eine Frage des Blicks und der Perspektive, oder - um mit Robbe-Grillet zu sprechen - als „Suche nach etwas, das nicht das Wahre (le vrai), sondern das Wirkliche (le réel) ist“.
Regine Elzenheimer
Das Projekt wurde realisiert mit Unterstützung des ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe.
Mit Unterstützung der Akademie Schloss Solitude
Nach den Aufführungen besteht jeweils die Möglichkeit zum Gespräch mit dem Produktionsteam.
» VOYEUR Fotos
» VOYEUR Pressestimmen
» JÖRG MAINKA Biografie
Impressum |