Different Trains (1988)
Achim Bornhöft
Neues Werk (Uraufführung)
HELIOS Streichquartett
Steve Reich, geboren am 3. Oktober 1936 in New York, erhielt im frühen Kindesalter Klavierunterricht und als 14jähriger Anfangsunterricht im Trommelspiel bei Roland Kohloff, dem späteren 1. Paukisten des New York Philharmonic Orchestra. Er studierte 1953–57 Philosophie an der Cornell University, besonders die Werke Ludwig Wittgensteins. Dort belegte er auch Musikkurse William Austins. In New York nahm er 1957–58 privat Kompositionsunterricht bei Hall Overton. Er studierte 1958–61 an der Juilliard School of Music in New York bei William Bergsma und Vincent Persichetti und 1962–63 am Mills College in Oakland/Cal. bei Darius Milhaud und Luciano Berio Komposition.
Wesentliche Erfahrungen machte er am San Francisco Tape Center (1963–65). Hier führte er das für seine frühen Arbeiten mit Bandschleifen beispielhafte Werk It's Gonna Rain (1965) auf und arbeitete mit dem Filmemacher Robert Nelson zusammen (The Plastic Haircut, 1963; Oh Dem Watermelons, 1965). In New York gründete er 1966 ein Tape Studio und bildete mit Arthur Murphy und Jon Gibson sein eigenes Ensemble. Mit ihm brachte er in den darauffolgenden Jahren die für seinen Personalstil wegweisenden Kompositionen mit Phasenverschiebungen wie Come Out (1966) und Piano Phase (1967) zur Aufführung. Bis 1976 wuchs die Gruppe Steve Reich and Musicians bereits auf 18 Musiker an.
Er lernte 1970 bei einem Meistertrommler des Ewe-Stammes am Institute for African Studies an der University of Ghana in Accra afrikanische Trommeltechniken und komponierte Drumming (1971), worin er die bisher verwendeten Techniken vereinigte und neue erprobte. Tourneen führten Steve Reich and Musicians 1971–73 durch Amerika und Europa. Reich machte sich 1973 und 1974 bei balinesischen Lehrern der American Society of Eastern Arts in Seattle und Berkeley mit balinesischer Gamelan-Musik vertraut und arbeitete anschließend intensiv an Music for Eighteen Musicians (1974/76), einem Werk, durch das er einem großen Publikum bekannt wurde.
1976–77 lernte er Hebräisch, studierte die Thora und die Kantillation der Schriften in New York und Jerusalem. Als Ergebnis dieser Arbeit entstand Tehillim (1981), das erste Werk seit seiner Studienzeit, in dem er einen Text vertonte. Es war ein Auftragswerk des SDR Stuttgart, des WDR Köln und der Rothko Chapel Houston. Es folgten weitere Auftragskompositionen wie The Desert Music (1984), Sextet (1985) und Electric Counterpoint (1987). Die Anregung zu Different Trains für Streichquartett und Tonband (1988) ging auf Kindheitseindrücke des Komponisten zurück und geriet zum zeitkritischen Dokument. Neben bedeutenden Konzertprogrammen war Reich u.a. eine Fernsehsendung in der angesehenen Reihe Great Performances (USA 1987) und eine Darstellung im Rahmen der Perspectives '88 (London) gewidmet.
Als ein Hauptvertreter der Minimal oder Repetitive Music in den USA baut Reich größere Kompositionen aus kleinsten ostinaten Motiven auf. Es ist seine Überzeugung, dass die strukturbestimmenden Vorgänge hörbar sein müssen. Damit steht er im Gegensatz zum Serialismus und zu bestimmten, im Klangergebnis ähnlichen Zufallsoperationen von John Cage.
Die frühen Kompositionen von It's Gonna Rain (1965) bis Four Log Drums (1969) sind vorwiegend durch Phasenverschiebungen in zunächst gleichzeitigen Klangverläufen gekennzeichnet: Zwei Bandschleifen mit identischen Sprachaufnahmen erzeugen aufgrund nicht völligen Gleichlaufs der Tonbandgeräte ein kontinuierliches Auseinandergehen des zunächst Gleichzeitigen (Come Out, 1966); zwei Pianisten rufen durch bewusstes, minimales Beschleunigen nur eines der identischen Parts einen entsprechenden graduellen Prozess hervor (Piano Phase, 1967). Am differenziertesten begegnen Phasenverschiebungen in Drumming (1971). Reich fasste die Trommelraster der afrikanischen Musik als Bestätigung für seine Strukturbildung auf, blieb aber beim Instrumentarium westlicher Musik.
Die besonderen Wirkungen seiner Musik beruhen auf der Faszination, die von den rhythmischen Vorgängen bei gänzlicher intellektueller Kühle ihrer Kalkulation ausgeht. Die Minimalisten Philip Glass, Terry Riley und La Monte Young zielen dagegen mehr auf Meditation. Die Präzision Reichs hat zu Fehleinschätzungen geführt: Sie wirke maschinell oder gar totalitär. Sie resultiert jedoch aus einer vollkommenen Identifizierung des Musikers mit dem Rhythmus.
Von 1970 ab führte Reich beachtliche Varianten seiner kompositorischen Technik ein: zunehmende Dehnung von Klängen (Four Organs, 1970), allmähliches Auffüllen von Pausen durch Schläge, Integration der menschlichen Stimme und afrikanische (Drumming) bzw. balinesische Elemente (Music for Eighteen Musicians). 1979–85 schrieb er gern für größere Besetzungen, für Orchester (Variations for Winds, Strings and Keyboards, 1979) bzw. Chor und Orchester (The Desert Music, auf Texte von William Carlos Williams, 1984), bevorzugte dann aber wieder Solistenensembles wegen der größeren Verantwortlichkeit der Spieler.
Eine weitergehende Erneuerung seines Schaffens vollzog sich mit Tehillim (1981). Das melodische Strukturmodell der Psalmen und eine flexible Metrik ermöglichten ihm eine Textvertonung mit Wortmalerei und die Erfindung längerer Melodien. Ferner wandte er, Conlon Nancarrow verwandt, das Kanonprinzip an und setzte sich sowohl mit der östlichen als auch der westlichen Tradition auseinander – nicht historisierend oder adaptierend, sondern produktiv. Die Reflexion der Vergangenheit bei Steigerung des Realismus im musikalischen wie zeitkritischen Sinn (Different Trains, 1988) hat Reichs Musik vielfarbiger und verständlicher werden lassen, ohne die Eigenart der Minimal Music in Frage zu stellen.
Durch Verwendung auch autobiographischer und dokumentarischer Texte ist in Different Trains für Streichquartett und Tonband eine stärkere Koordination von textlicher und klanglicher Aussage gegeben. Repetitionsmuster der Streicher vereinigen sich mit realistischen Lokomotivgeräuschen, aus denen sich im I. Satz, America – Before the War, der Text heraushebt „From Chicago to New York“: Reich fuhr als Junge lange Strecken, um die getrennt lebenden Eltern zu besuchen. Im II. Satz, Europe – During the War, geht es um die Judendeportationen in Waggons, die auch ihm in Europa gedroht hätten, im III. Satz, After the War, um Fahrten in die USA als Zurückgekehrter.
Noch vor seinem Kompositionsstudium an der Folkwang Hochschule in Essen gewann Achim Bornhöft, Jahrgang 1966 den 1. Preis beim Forum junger Deutschen Komponisten. Weitere Auszeichnungen folgten mit dem 1. Preis beim Kompositionswettbewerb der Cooperativa Neue Musik (CNM), dem Felix-Mendelssohn-Bartholdy Förderpreis, dem 1. Preis im Bundeshochschulwettbewerb Komposition sowie dem Folkwang Preis für Komposition 1993. Während des Studiums bei Nicolaus A. Huber und Dirk Reith begann seine Zusammenarbeit mit den Choreographen Olimpia Scardi, Stefan Hilterhaus und Wanda Golonka, mit denen er mehrere Stücke erarbeitete. Gastspiele führten sie an verschiedene Theater in Deutschland und im europäischen Ausland. Nach dem Examen ging er mit einem DAAD-Stipendium an das renommierte Computer Center for Research in Music and Acoustics (CCRMA) der Stanford University, USA. Zwischen 1996 und 1999 ist Achim Bornhöft Dozent an der Universität Duisburg und an der Folkwang Hochschule in Essen. In den folgenden Jahren werden seine Kompositionen auf internationalen Festivals im In- und Ausland gespielt. Vortrags- und Konzertreisen führen in u.a. in die Mongolei und nach Kirgistan. In Zusammenarbeit mit dem Architekten und Bühnenbildner Ulrich Baumeister widmet sich Achim Bornhöft neben seiner Tätigkeit als Komponist auch choreografischen Bühnenwerken. 1998 bekommt er das Kompositionsstipendium der Heinrich-Strobel-Stiftung des Südwestfunks und realisiert mit eigenem Ensemble zwei abendfüllende Tanzproduktionen. 2001 ist er Stipendiat am Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe. Im Jahr 2003 erhält er das Kunststipendium am Mummelsee für seine Arbeit Orplid: Spiegel und Schilf und gründet zusammen mit den Komponisten Ludger Brümmer und Michael Edwards den Musikverlag sumtone. Achim Bornhöft lebt in Tübingen und promoviert zur Zeit an der dortigen Universität über das Thema „Komposition als Reflektion technischer Entwicklung“.
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